Am 11. September um 3.08 Uhr ist der Brückenzug C der Dresdner Carolabrücke eingestürzt. Nur 18 Minuten nachdem die letzte Straßenbahn über den nun in der Elbe liegenden Brückenteil gefahren war. In den anschließenden Diskussionen von Experten ging und geht es vor allen Dingen um zwei Fragen: Hätte der Einsturz der 1971 gebauten Brücke verhindert werden können und wie steht es um andere Brückenbauwerke in der Bundesrepublik? Wir haben einige Stellungnahmen für Sie gesammelt.
Die Carolabrücke wurde in der Vergangenheit bereits teilweise instandgesetzt. Wir haben über die Sanierung von Brückenzug A und Brückenzug B berichtet – auch weil dort mit Carbon und Basalt neuartiges, für Korrosion nicht anfälliges Bewehrungsmaterial eingesetzt wurde. Diese sanierten Teile sind für den Einsturz nicht ursächlich, Brückenzug B ist aber in Mitleidenschaft gezogen worden, weshalb ein Abriss der gesamten Brücke im Raum steht. Der nun betroffene Abschnitt stromabwärts sollte kommendes Jahr ertüchtigt werden. Laut jüngsten Untersuchungen hatte dieser Teil der Brücke eine Zustandsnote von 3,0 - 3,4. Das ist ein eher schlechter Zustand, der aber auch keine direkte Einsturzgefahr kennzeichnet. Marco Götze, Diplomingenieur und Vorsitzender der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken, ordnet das Unglück ein:

„Dass eine Brücke in Deutschland kollabiert, ist zum Glück eine absolute Seltenheit. In der Regel werden alle Brücken systematisch geprüft, um solche Vorfälle auszuschließen. Allerdings ist es auch eine Tatsache, dass viele Brücken im Land auf eine Instandsetzung warten. Von mehr als 50.000 für den Verkehr relevanten Brücken, haben laut der Bundesanstalt für Straßenwesen fast 30 Prozent eine Zustandsnote von befriedigend oder schlechter. Viele haben das Ende ihrer Belastbarkeit erreicht. Das überrascht nicht, schließlich sind mehr als die Hälfte von Deutschlands Brücken über 40 Jahre alt. FDP-Verkehrsminister Wissing forderte noch im Mai ein Pensum von 400 sanierten Brücken im Jahr, um die Generationenaufgabe Brückensanierung zu bewältigen. So lassen sich vielleicht die akutesten Infrastruktur-Notfälle in greifbarer Zeit angehen – bis bei diesem Pensum allerdings die Brücken mit einer Note von befriedigend oder schlechter angegangen werden, dürften knapp 35 Jahre ins Land gehen. Der Brückeneinsturz muss ein Weckruf für die Politik sein, massiv in den Erhalt und die Instandsetzung der Verkehrsinfrastruktur zu investieren und diese Aufgabe zur Chefsache zu machen.“
„Tausende Brücken in Deutschland haben ein vergleichbares Alter und eine ähnliche Zustandsbewertung“
Dipl.-Ing. Siegfried Werner, Vorsitzender der Landesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken Sachsen und Sachsen-Anhalt e. V. ergänzt: „Die Carolabrücke ist ein gutes Beispiel dafür, dass Instandhaltung nicht nur akute Probleme angehen sollte. Tausende Brücken in Deutschland haben ein vergleichbares Alter und eine ähnliche Zustandsbewertung. Die Carolabrücke wurde in den vergangenen Jahren bereits schrittweise instandgesetzt und die genauen Ursachen des Kollapses sind bislang unbekannt. Ich vertraue allerdings darauf, dass hier genau untersucht wird, wie es zu dem Unglück kommen konnte und dass Lehren für die Zukunft gezogen werden. Erst einmal sollten wir froh sein, dass keine Menschen zu Schaden gekommen sind.“
Schallemissionsmonitoring: Bessere Ergebnisse als herkömmliche Prüfmethoden
Prof. Dr.-Ing. Dr. Steffen Marx vom Institut für Massivbau der TU Dresden, der in die Untersuchung der Unglücksursachen involviert ist, hat sich in einem Interview mit dem NDR zum Einsturz der Brücke geäußert. Zwar müsse noch genau untersucht werden, warum die Brücke eingestürzt sei, allerdings gebe es zwei „harte Eingangsvermutungen“: Die Korrosion der Bewehrung durch eindringende Tausalze, weil die Brücke lange Zeit – wie viele Brückenbauten der 1960er, 70er Jahre – keine Abdichtung hatte und die sogenannte Spannungsrisskorrosion, eine spezielle Korrosionsform, die durch die Kombination aus ungünstigen Materialeigenschaften und der hohen Spannungsauslastung entstanden sein könnte. Nach Angaben von Marx habe man diese Schäden mit den gängigen Prüfmethoden von außen nicht erkennen können. Er plädiert in Zukunft für den Einsatz von Schallemissionsprüfungen, einer Methode, die erst seit kurzer Zeit an einigen Bauwerken erprobt werde und sich als „sehr günstige Technologie mit einem guten Sicherheitsgewinn“ erwiesen habe. Beim Schallemissionsmonitoring werden Mikrofone an der Betonoberfläche befestigt, die das Brechen von Drähten in der Brücke erfassen können. Bei der Brücke in der Königsbrücker Straße in Dresden komme diese Methode bereits seit einem halben Jahr zum Einsatz, so Marx in einer weiteren Stellungnahme gegenüber dem MDR. Dort seien keine Schädigungen gemessen worden.
Prof. Dr.-Ing. Manfred Curbach, ein Kollege von Marx am Institut für Massivbau der TU Dresden, der ebenfalls an der Ursachenforschung beteiligt ist, hat sich auch gegenüber dem MDR geäußert. Ein besonderes Problem von Brücken dieser Bauart sei der sogenannte Gerberträger. Das ist ein Stahlträger, der auf verschiedenen Lagern liegt und die gesamte Brücke überspannt. „Das ist eine Konstruktion, die würden wir heute nicht mehr bauen, weil sie keine Redundanz liefert“, erklärt er. Das Bauteil sei statisch bestimmt. Konkret bedeutet das, dass es sein Versagen nicht durch eine Verformung ankündigt - was den urplötzlichen Kollaps der Carolabrücke erklärt. Und im Hinblick auf ähnliche, im selben Zeitraum erbauten Konstruktionen Sorge bereitet. Weitere interessante Informationen zum Einsturz der Carolabrücke liefert der Ticker des MDR >>>