Ein modernes Gebäude mit einer üppig begrünten Fassade, die verschiedene Pflanzenarten zeigt.
Anders als bei konventionellen Fassadenbegrünungen, bei denen die Pflanzenauswahl in erster Linie nach ästhetischen Gesichtspunkten erfolgt, lag bei der wilden Klimawand der Fokus vollständig auf der Biodiversität. (Quelle: Helix)

Nachhaltigkeit 2025-02-27T08:12:37.200Z Vertikale Wiesen

Eine außergewöhnliche Fassadenbegrünung in Stuttgart hat in den letzten zwei Jahren für Aufsehen gesorgt. Das Besondere daran: Mit dem innovativen Grünfassadensystem kann die Vielfalt der Wiesenflora und -fauna in die Vertikale und somit in dicht bebaute Räume gebracht werden.

Installiert wurde sie im Rahmen der beiden Forschungsprojekte „BioDivFassade“ und „Die wilde Klimawand“ an einem Bürogebäude am Fraunhofer Campus in Stuttgart-Vaihingen. Das mediale Interesse an dem Projekt war von Anfang an groß: So war „Die Sendung mit der Maus“ sogar zweimal zu Gast und berichtete. Und auch Preise gab es: Gleich zwei Auszeichnungen konnte man bei der „DGNB Sustainability Challenge“, dem Innovationswettbewerb der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (DGNB) 2024, abräumen. Zum Ende der Forschungsarbeit wurde nun der „Leitfaden für biodiversitätsfördernde Fassadenbegrünung - Wilde Klimawände für Stuttgart“ veröffentlicht, der das gesammelte Wissen der letzten Jahre zusammenfasst. Er zeigt Interessierten auf, welche positiven Auswirkungen eine solche vertikale Bepflanzung für das direkte Umfeld hat und was man bei der Realisation bedenken und beachten sollte. 

Ökosystem für den urbanen Raum 

Bei den Forschungsprojekten arbeitete das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) eng mit dem Institut für Landschaftsplanung und Ökologie (ILPÖ) sowie dem Institut für Akustik und Bauphysik (IABP) der Universität Stuttgart zusammen. Als Partner holte man sich die Helix Pflanzensysteme GmbH, Spezialist für Gebäudebegrünung aus Kornwestheim, mit ins Boot. Basierend auf wissenschaftlichen Analysen und langjähriger gärtnerischer Erfahrung entwickelte und erprobte das interdisziplinäre Team aus Forschung und Praxis die wilde Klimawand und erstellte auch gemeinsam den aktuellen Leitfaden. Julian Käß, Umweltschutztechnikingenieur bei Helix, war von Anfang an dabei und schwärmt: „Ich habe dabei unheimlich viel Neues gelernt. Denn obwohl bei dem Projekt unsere seit langem bewährten, wandgebundenen Fassadenbegrünungssysteme ,Biomura‘ und ,Elata‘ als Grundlage zum Einsatz kamen, mussten wir uns hier ganz neuen Herausforderungen stellen.“ 

Eine üppige vertikale Gartenwand mit einem integrierten Insektenhotel, umgeben von verschiedenen Pflanzen und Blumen.
Durch das zusätzliche Einbringen von Nisthilfen sowie mineralischen und organischen Materialen wurden ideale Voraussetzungen für die Ansiedlung unterschiedlicher heimischer Tierarten geschaffen. (Quelle: Helix)

Konventionelle Wandbegrünungen werden in erster Linie nach ästhetischen Gesichtspunkten geplant. Deshalb entscheidet man sich zumeist für eine überschaubare Anzahl von immergrünen Gewächsen, die bereits gezeigt haben, dass sie sich auch in der Vertikalen zuverlässig und dicht entwickeln. Bei der Auswahl für die wilde Klimawand lag der Fokus dagegen vollständig auf der Biodiversität. Erforscht wurde, welche heimische Vegetation sich für Grünfassaden eignet und welchen Insekten und Kleintieren sie Lebensraum sowie Nahrung bietet. Neben unterschiedlichen Wildstauden, Kräutern und Gräsern kamen daher auch Beikräuter wie Klee zum Einsatz, denn sie sind insbesondere für Wildbienen wichtige Nektar- und Pollenquellen. Durch das zusätzliche Einbringen von Nisthilfen sowie mineralischen und organischen Materialen wurden zudem ideale Voraussetzungen für die Ansiedlung unterschiedlicher heimischer Tierarten geschaffen. 

Optik nachrangig 

„Aber nicht nur bezüglich Gestaltung und Bepflanzung, auch in Bezug auf das Pflegekonzept musste bei der wilden Klimawand umgedacht werden. Oberstes Ziel ist nicht eine ansehnliche, ordentliche Fläche, sondern der Erhalt und die Förderung von Vielfalt. Die Vegetation wird daher in regelmäßigen Abständen nur sehr behutsam zurechtgestutzt. Selbst vertrocknete oder abgestorbene Pflanzenteile werden nicht komplett entfernt, denn sie bilden wichtige Habitate für die Tierwelt“, erläutert Käß. „Im Leitfaden zeigen wir unter anderem, welche Pflegemaßnahmen zu welcher Jahreszeit durchgeführt werden sollten und wie es dabei gelingt, verschiedene Brutstätten zu schützen und zugleich Brandschutzvorgaben einzuhalten. Außerdem wird aufgelistet, was die regelmäßige Pflege einer entsprechend gestalteten Fassade kostet. Wir bleiben dabei übrigens nicht unkonkret und wage, sondern geben genau an, wie hoch die Kosten pro Quadratmeter sind.“ 

Der „Leitfaden für biodiversitätsfördernde Fassadenbegrünung“ steht zum kostenlosen Download bereit. Auf 147 Seiten werden die Ergebnisse der Projekte aufbereitet und zusammengefasst. Ziel des Leitfadens ist, Grünfassaden als Maßnahmen zur Klimaanpassung und Biodiversitätsförderung greif- und anwendbar zu machen und so deren Verbreitung zu unterstützen. Neben den allgemeinen Informationen finden sich in der Publikation auch einige gezielte Inhalte für Fach- und Expertengruppen wie Planende der Disziplinen Landschaftsarchitektur und Architektur, Mitarbeitende städtischer Einrichtungen sowie des Garten- und Landschaftsbaus. 

zuletzt editiert am 27. Februar 2025