Die 49. Aachener Bausachverständigentagen des AIBau trugen den Titel „Gebäudehülle und Innenräume: Abdichtungen, Brandschutz, Begrünungen“. Dass sich hinter diesem Begriffskonglomerat ein weites Feld an Themen verbirgt, stellte die Veranstaltung eindrucksvoll unter Beweis.
Der Auftakt gehörte einem Thema, dass der Baubranche und damit auch den Bausachverständigentagen in den kommenden Jahren einiges abverlangen dürfte: Dipl.-Ing. Marc Blum beschäftigte sich mit den neuen Beratungspflichten für Sachverständige zur Wieder- und Weiterverwertung von Bauteilen und Bauprodukten, die mit der Umsetzung des europäischen „Green Deal“ verbunden sind. Das klingt zunächst harmlos, ist aber mit massiven Änderungen für die Arbeit von Bausachverständigen verbunden: Denn sollten sie wie bisher mit ihren Gutachten daraufhin hinarbeiten, Mängel durch Herausreißen und Wiederholung einer Bauleistung aus der Welt zu schaffen, verstoßen sie damit nicht nur gegen das Kreislaufwirtschaftsgesetz, sondern auch gegen die neue Gesetzeslage der Europäischen Union.
Blum ist Obmann eines Technischen Ausschusses in Brüssel, der sich mit der Circular Economy im Bauwesen beschäftigt. In seinem Vortrag schilderte er, wie weitreichend die Folgen des von Brüssel eingeleiteten Einstiegs in die sogenannte zirkuläre Kreislaufwirtschaft sein werden. Zirkuläre Kreislaufwirtschaft, so Blum, sei nur scheinbar ein Pleonasmus – denn dahinter verbirgt sich nicht nur das bloße Recycling von Baustoffen an ihrem End-of-Life (EoL), sondern vielfältige (Um-)Nutzungen, die vor dem letzten Schritt, dem Recycling, möglich sind.
Der Hauptschlüssel für die Zukunft der Bau- und Immobilienwirtschaft werde daher die konsequente Anwendung der „R-Strategien der zirkulären Kreislaufwirtschaft“ auf Bauprodukte und Bauwerke sein – denn nur so könne die Bau- und Immobilienwirtschaft den notwendigen und wesentlichen Beitrag für den Klimaschutz leisten. Unter den R-Strategien der zirkulären Kreislaufwirtschaft versteht man neun unterschiedliche Arten der Wieder- oder Weiterverwertung von Produkten: Refuse, Rethink, Reduce, Re-Use, Repair, Refurbish, Re-manufacture, Repurpose, Recycle und Recover. Diese sind möglichst in der angegebenen Reihenfolge zu nutzen. Bausachverständige, forderte Blum, müssten in Zukunft ihr Fachwissen nicht nur auf Schäden anwenden, sondern die Möglichkeiten der Wieder- oder Weiterverwertung von Bauwerken, -teilen, -komponenten und -produkten im Blick haben.
Sind Gebäude mit PV-Anlagen auf dem Flachdach nicht mehr versicherbar?

Im Zentrum des ersten Tages der Veranstaltung stand am Nachmittag die kontrovers geführte Diskussion um PV-Anlagen auf Flachdächern. Denn seit einem Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg 2019, lehnen es viele Versichergesellschaften ab, PV-Anlagen auf bestimmten Industrie- und Gewerbeobjekten zu versichern. Allerdings beruhte das Urteil des OLG auf einer fehlerhaften Übersetzung der VDE 0100-100 „Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 1“. Der fehlerhaft übersetzte Text lautet: „Alle elektrischen Betriebsmittel, die wahrscheinlich hohe Temperaturen oder elektrische Lichtbögen verursachen können, müssen so angebracht oder geschützt werden, dass kein Risiko der Entzündung von brennbaren Materialien besteht.“ Damit wäre die Installation von PV-Anlagen auf Flachdächern nicht mehr möglich. Durch die Korrektur des Fehlers aber hat sich die Lage wieder geändert: „Alle elektrischen Betriebsmittel, die wahrscheinlich hohe Temperaturen oder elektrische Lichtbögen verursachen können, müssen so angebracht oder geschützt werden, dass das Risiko der Entzündung von brennbaren Materialien minimiert wird.“
Dennoch bleibt das Versichern von PV-Anlagen auf Flachdächern ein schwieriges Unterfangen – was auf völliges Unverständnis beim Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) stößt. Maria Roos, die als Vertreterin des BSW in Aachen war, betonte, dass für eine CO2-neutrale Energieversorgung, die Nutzung von Industrie- und Gewerbedächern für den weiteren PV-Ausbau notwendig sei, auch und gerade auf Bestandsgebäuden. Gleichzeitig sei klar, dass eine fachgerecht geplante, errichtete und regelmäßig instandgehaltene PV-Anlage kein erhöhtes Brandrisiko darstelle. Daher sei es unverständlich, wenn der Gesamtverband der Versicherer mit seiner im Februar dieses Jahres herausgegebenen Richtlinie „VdS 6023 Photovoltaik-Anlagen auf Dächern mit brennbaren Baustoffen“ und ihren strengen Auflagen indirekt die Neuinstallation von PV-Anlagen auf Flachdächern von Bestandsgebäuden verhindere – denn in diesen Fällen lässt sich meistens kein Zustand herstellen, der die Anlage nach VdS 6023 „versicherbar“ macht.
Lutz Erbe, ö.b.u.v. Sachverständiger von den VGH-Versicherungen, hielt dem entgegen, dass die Versicherungen keineswegs weiteren PV-Zubau verhindern wollten. Angesichts der Häufung von durch PV-Anlagen auf Flachdächern ausgelösten Bränden mit massiven Folgeschäden seien die Versicherungen aber gezwungen, Maßnahmen zur Risikominimierung zu fordern, um diese Anlagen versichern zu können.
Austausch der Dachdämmung oder nicht brennbare Trennschicht
Besonders heikel sind PV-Anlagen, die auf einer Polystyrol-Dämmung aufgestellt werden. Polystyrol ist zwar als schwer entflammbar eingestuft, brennt aber bei großer Hitze. Kommt es bei solchen Anlagen zu einem Brand, kann er sich durch die Dämmung fressen – und anschließend die gesamte Dachkonstruktion erfassen. Ind der VdS 6023 habe die Versicherungswirtschaft mögliche Maßnahmen zur Risikominimierung aufgelistet, so Erbe: Als bauliche Maßnahmen sind dort beispielsweise der Austausch der Dachdämmung oder das Aufbringen einer nicht brennbaren Trennschicht (z.B. Kiesschüttung, Blech oder Mineralfaserdämmstoff) aufgeführt. Und als technische Maßnahme wird dort die Installation eines Wechselrichters mit Gleichstrom-Lichtbogenerfassung und -unterbrechung ins Spiel gebracht. Die Lichtbögen sind eine der Brandursachen bei korrekt installierten PV-Anlagen.

Dr. rer. nat. Udo Simonis, ö.b.u.v. Sachverständiger für Kunststofftechnik, stellte sich in seinem Vortrag über die Brennbarkeit von Dachbahnen und die Brandfortleitung durch die Dämmung prinzipiell an die Seite der Versicherungswirtschaft: Das Urteil des OLGs sei fachlich und sachlich nachvollziehbar. Es dürfe aber nicht sein, dass wegen Unwissenheit über das Brandverhalten von Dächern mit PV-Anlagen und wegen unzureichender Brandwiderstände von Baustoffen auf Dächern die Energiewende gefährdet wird. Die zusätzlichen Anforderungen müssten daher thematisiert, Lösungen gefunden und umgesetzt werden. So hätten Brandprüfungen gezeigt, dass Brände von PV-Modulen selbst auf brennbaren, aber nicht schmelzenden und nicht brandfortleitenden Dämmstoffen keine nennenswerten Schadensfolgen hätten, wenn zwischen Dämmung und Modulen selbstverlöschende Bahnen verlegt worden seien. Mit nicht glimmbarer Mineralwolle seien die Ergebnisse ähnlich.
Frischbetonverbundsysteme: Ist doppelt gemoppelt wirklich dichter?
Auch am zweiten Tag gab es ein Thema, bei dem sich zwei unvereinbare Positionen gegenüberstanden. Das Thema: Frischbetonverbundsysteme (FVS) als Abdichtung für erdberührte Bauteile aus wasserundurchlässigem Beton bei Druckwasser. FVS werden grundsätzlich als zusätzliche Abdichtung für Weiße Wannen empfohlen. Prof. Matthias Zöller vom AIBau erläuterte in seinem einleitenden Vortrag, warum er in Standardfällen die Verwendung von Frischverbundsystemen für eine teure und unnötige Dopplung von Maßnahmen hält. Die in der DAfStb-Richtlinie Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton (WU-Richtlinie) festgelegten Entwurfsgrundsätze seien in diesen Fällen ausreichend. Nur Entwurfsgrundsatz b), der auf die Selbstheilung der Dichtigkeit bei anstehendem Druckwasser durch Trennrissbreitenbeschränkung setzt, sei bei hochwertiger Nutzung nicht ratsam, da in diesem Fall auch temporäre Wassereintritte unzulässig sind.
Ähnlich sieht es Prof. Dipl.-Ing. Claus Flohrer, ö.b.u.v. Sachverständiger für Betontechnologie. WU-Konstruktionen nach WU-Richtlinie seien für jede Art der Nutzung geeignet und als Bauart bauordnungsrechtlich als eine von zwei möglichen Bauarten für das Bauen im Erdreich geregelt, sagt er in seinem Vortrag. Zusatzmaßnahmen wie FVS seien nicht erforderlich. Solange es nicht gelinge, den erforderlichen Verbund zwischen Beton und Folie vollflächig und frei von Fehlstellen zu erreichen, basiere die gewünschte Abdichtung auf dem Prinzip „Hoffnung“. Viel sinnvoller sei es, wie in Entwurfsgrundsatz c) der WU-Richtlinie beschrieben, die Anzahl der Trennrisse im Beton zu minimieren und diese anschließend abzudichten.
Im Gegensatz zu seinen Kollegen hält Dipl.-Ing. Marco Bloch, Produktingenieur der Sika Deutschland GmbH und Mitglied des HBV, FVS für eine innovative und sinnvolle Produktentwicklung, die die Sicherheit vor eindringendem Druckwasser erhöht. Zwar sei es in der Anfangsphase zu mangelhaften Planungen und Ausführungen gekommen. Doch mittlerweile hätten sich die Systeme etabliert und der DBV habe einen Arbeitskreis Frischbetonverbundsysteme gegründet, der in mehreren DBV-Heften bereits Empfehlungen zur Anwendung der Systeme veröffentlicht habe.
Darüber hinaus …
Wie gewohnt war das Programm der Bausachverständigentage umfangreich und vielseitig. So hielt Prof. Zöller bereits am ersten Tag einen Vortrag zu den neuen Definitionen der Wassereinwirkungsklassen in der DIN 4095-1 sowie zu denen an Sockeln. Zu diesem Vortrag hatte er der Zeitschrift „Der Bausachverständige“ im Vorfeld der Veranstaltung ein interessantes Interview gegeben. Dipl.-Ing. Maria Dilanas erläuterte in ihrem Beitrag mit dem schönen Titel „Fluch der Akribik“, wie wichtig eindeutige und richtige Formulierungen in Gutachten sind und Dr. Gunter Mann, Präsident des Bundesverbands GebäudeGrün e.V. vermittelte Praxiswissen zu extensiver Dachbegrünung. Mehr über die Inhalte der 49. Aachener Bausachverständigentage finden Sie hier.
Bodo Höche