Corona hat den Rosenheimer Fenstertagen 2021 besondere Regeln aufgezwungen: Die Anzahl der Präsenzteilnehmer war auf 250 Personen begrenzt – und die waren auch da. Hinzu kamen 230 Online-Teilnehmer. Unter dem Motto „Bewegte Zeiten“ drehten sich viele Vorträge und Diskussionen um das Thema Klimaschutz.
Also alles – bis auf die Begrenzung der Teilnehmerzahl – wieder so wie vor der Pandemie? Nicht ganz. Eine Einschränkung kam hinzu: Der bayrische Festabend in der Inntalhalle, Gelegenheit in lockerer Atmosphäre miteinander zu plaudern, musste coronabedingt leider ausfallen. Deshalb versprach Geschäftsführer des ift Rosenheim, Dr. Jochen Peichl, auch gleich: „2022 gibt es wieder die originalen Fenstertage – mit allem was dazu gehört.“ Inhaltlich aber sind die Fenstertage wieder voll da. Und das ist auch notwendig: Schließlich kommt der Fenster- und Fassadenbranche zum Beispiel in Sachen energetische Sanierung des Gebäudebestands eine entscheidende Rolle zu: Es gilt, so rasch wie möglich 235 Millionen alte Fenster zu ersetzen.
Um das Thema Klimaschutz ging es schon im Auftaktvortrag von Prof. Jörn P. Lass, Institutsleiter ift Rosenheim: „Bauelemente in der Kreislaufwirtschaft – CO2-Fußabdruck als Maßstab für die Nachhaltigkeit?“ lautete der Titel. Er zeigte klar auf, dass moderne Fenster und Verglasungen viel zum Klimaschutz beitragen, wenn der gesamte Lebenszyklus betrachtet wird. Denn auf der West-, Ost- und Südseite sind während der Nutzungszeit mit transparenten Bauteilen erhebliche Energiegewinne möglich. Allerdings müssen die Glasflächen auf das Gebäude abgestimmt werden, und ein guter variabler Sonnenschutz gehört zwingend dazu. Lass erwartet, dass in naher Zukunft nur noch CO2-neutrale Bauelemente maximal gefördert werden und dass deshalb Nachweise für eine ganzheitliche Bewertung der CO2-Emissionen notwendig werden. Ökobilanzen und Umweltproduktdeklarationen nach EN 15804 sind als „Instrumente“ vorhanden und werden vom ift Rosenheim genutzt. Erhebliche Hausaufgaben für die Branche sieht Lass aber noch beim Einstieg in eine echte Kreislaufwirtschaft, bei der ein sortenreines Recycling schon bei der Konstruktion und Herstellung geplant wird. Verbundwerkstoffe würden es da schwerer haben. Auch beim Schutz vor Klimaextremen wie Überschwemmungen, Tornados und Hagelstürmen hätten die Hersteller noch konstruktive Herausforderungen zu meistern. Lass erwartet hier eine erhebliche Dynamik, weil Sachversicherer viele Gebäude nur noch versichern werden, wenn vor allem Fenster und Türen einen geprüften Schutz bieten.
Teilnehmer zeigen großes Interesse an Vakuum-Isolierglas (VIG)
Peter Schober (Holzforschung Austria), Karin Lieb (ift Rosenheim) und Michael Elstner (AGC Interpane) informierten, was bei der Verwendung von Vakuum-Isolierglas (VIG) zu beachten ist. Die Umfrage gleich zu Beginn zeigte, dass zirka 70 Prozent der Teilnehmer Interesse an der Verwendung von VIG haben, nicht zuletzt wegen des möglichen niedrigen U-Werts von 0,4 W/(m²K). Nachdem der Nachweis der Dauerhaftigkeit auf Basis der ISO 19916-1 und des ift-Prüfprogramms möglich ist und es auch Produktionen in Europa mit verlässlichen Lieferzeiten gibt, steht einer Verwendung nichts mehr im Wege. Allerdings müssen bei der Entwicklung innovativer Fenster einige konstruktive Besonderheiten beachtet werden, insbesondere ein höherer Randeinstand von zirka 25 Millimetern, um die thermische Schwachstelle des Randverbundes zu kompensieren und so Tauwasser zu vermeiden.
Frank Lange (VFF) stimmte die Teilnehmer auf die großen Herausforderungen ein, die sich durch die notwendige Steigerung der Gebäudesanierung zur Erreichung der deutschen Klimaschutzziele 2030 ergeben. Auch wenn eine ganzheitliche Sanierung des gesamten Gebäudes inklusive Heiztechnik wünschenswert sei, werde es nicht ohne eine Priorisierung besonders geeigneter Maßnahmen gehen – ganz nach dem Motto „worst first“. In diesem Sinne werden die Verbände der Gebäudehülle sich massiv für Maßnahmen einsetzen, damit die zirka 235 Millionen alten, vor 1995 eingebauten Fenster ohne Wärmeschutzverglasung schnell ausgetauscht werden. Die Technik ist vorhanden, es gelte nun die notwendigen Kapazitäten aufzubauen und die bestehenden Engpässe im Bereich der Montage zu beseitigen. Die serielle Sanierung, bei der komplette Fassaden inklusive der Fenster einfach vor eine alte Gebäudewand montiert werden, sei eine weitere Option.
Die dena rechnet mit Novellierung des GEG noch 2022
Christian Stolte (dena) erklärte nicht nur die Besonderheiten des aktuellen Gebäudeenergiegesetzes (GEG), sondern auch welche Änderungen von der neuen Regierung zu erwarten sind. Stolte vertiefte die Aussagen von Frank Lange und erläuterte anschließend die wichtigsten europäischen und deutschen Regeln und Förderrichtlinien. Insbesondere der Green Deal der EU und dessen Umsetzung im deutschen Klimagesetz werde bereits 2022 volle Wirkung entfalten. Das GEG fordert in §10, dass neue Gebäude als Niedrigstenergiegebäude zu errichten sind, also Gebäude mit sehr geringem Energiebedarf, der wesentlich durch erneuerbare Energien gedeckt wird (Artikel 2 – EPBD). Stolte rechnet fest mit einer Novellierung des GEG in 2022, in der dann die energetischen Anforderungen für den Neubau und die Altbausanierung verschärft werden. Und wie Prof. Lass geht er davon aus, dass der CO2-Fußabdruck als Kenngröße an Bedeutung gewinnen wird – auch, weil im Gebäudeenergieausweis die CO2-Emissionen aufgeführt werden müssen.
Prof. Dr.-Ing. M. Arch. Lucio Blandini (ILEK) präsentierte Highlights aus Praxis und Forschung und wie diese in Zukunft nachhaltige, digitale und adaptive Fassaden prägen werden. Am Beispiel aktueller Projekte wie dem Airport Kuwait, den Kö-Bogen 2 in Düsseldorf oder der Calwer Passage in Stuttgart zeigte Blandini die große Bandbreite und technischen Möglichkeiten der aktuellen Fassadentechnik. Diese wird verstärkt beeinflusst durch die Verwendung adaptiver Sonnenschutzelemente, Fassadenbegrünungen und weiteren Ansätzen zur Verbesserung der Ökobilanz.
Von der großen weiten Fassadenwelt führten Christian Anders (Vorsitzender technischer Ausschuss VFF) und Rolf Schnitzler (ift Rosenheim) zurück in die konkrete Welt der konstruktiven Umsetzung und stellten die relevanten Änderungen des neuen Montageleitfadens für Vorhangfassaden vor, die drei wesentliche Bereiche umfasst. Zunächst war eine Aktualisierung aller normativen Änderungen, weiterführenden Dokumente, technische Neuerungen und redaktionelle Anpassungen notwendig. Als zweites die Vertiefung und Erweiterung von Inhalten, beispielsweise bei den Themenfeldern Bauwerksabdichtung, Befestigung, Korrosionsschutz, Außenwandbekleidungen oder Schalldämmung. Zum dritten wurden weitere Konstruktionsvarianten wie Aufsatzkonstruktionen, Glasdachkonstruktionen und Lichtdächer aufgenommen. Der aktualisierte Montageleitfaden für Vorhangfassaden soll noch in diesem Jahr fertig gestellt werden.
In weiteren Vorträgen ging es um den Brexit und wie Hersteller zum britischen CE-Zeichen (UKCA) kommen, um notwendige Prüfungen und Nachweise, die bei internationale Fassadenprojekten eine Rolle spielen, um die Nachfrage nach Fenstern in der D-A-CH-Region, um den Studentenwettbewerb Solar Decathlon Europe sowie um ein Tabellenverfahren, mit dem Praktiker eine Glasbemessung gemäß DIN 18008-2 vornehmen können. Weitere Informationen finden Sie auf der Website des ift Rosenheim.