Für ihren Wohnungsbestand in Münchner Stadtteil Ramersdorf lässt die GWG das Umweltberatungsinstitut EPEA eine umfassende Stoffstromanalyse erstellen. (Quelle: Drees & Sommer)

Gebäude + Energie 3. May 2023 Rohstoffretter statt Ressourcenverschwender

Wird ein Gebäude abgerissen, landen die einzelnen Bestandteile größtenteils immer noch auf der Deponie oder als minderwertiges Füllmaterial im Straßenbau – eine riesengroße Verschwendung. Die GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München will das im Stadtteil Ramersdorf anders machen: Im dortigen Entwicklungsgebiet der GWG sollen möglichst viele Rohstoffe aus dem Bestand gerettet werden.

Die GWG hat deshalb das Umweltberatungsinstitut EPEA, eine Tochter der in Stuttgart ansässigen Bauberatung Drees & Sommer SE, damit beauftragt sämtliche Materialien und Baustoffe zu katalogisieren und deren Wiederverwertbarkeit zu prüfen. „Aufgrund der Gebäudesubstanz ist eine Sanierung der Immobilien nicht möglich“, sagt Rositsa Doneva, Teamleiterin Klimaschutz der GWG. „Zudem wollen wir mehr Wohnfläche schaffen und in den nächsten Jahren insgesamt 900 Wohnungen bauen. Die alten Häuser müssen daher modernen und energetisch optimierten Gebäuden weichen.“ Um aber möglichst viele Rohstoffe aus dem Bestand zu retten, setzt die GWG auf eine umfassende Stoffstromanalyse. Stark vereinfacht geht es dabei um den Weg eines Stoffes von seiner Gewinnung über seine Verarbeitung bis hin zu seiner Wiederverwertung oder Entsorgung. „Durch die Stoffstromanalyse können wir überhaupt erst abschätzen, welche Bauteile wir in unseren eigenen Neubauvorhaben wieder einsetzen können, welche Materialien sich für eine Baustoffbörse eignen oder ob sogar eine Hersteller-Rücknahme sinnvoll ist“, so Doneva weiter.

Von der Abfall- zur Kreislaufwirtschaft

Entwickelt wurde die Stoffstromanalyse von Andrea Heil und Matthias Heinrich, die bei EPEA kreislauffähiges Bauen und Urban Mining vorantreiben. Dabei handelt es sich um einen noch relativ jungen Begriff in der Abfallwirtschaft, der aber schon bald ein neues Zeitalter einläuten könnte: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – weg von der Einweg- und Abfallwirtschaft hin zur Kreislaufwirtschaft“, so Heinrich. Im Rahmen der Analyse hat das Team für die GWG Türrahmen, Fensterglas, Metall, Holz und sogar alte Müllhäuschen katalogisiert und Möglichkeiten zur Weiterverwendung aufgezeigt. „Die Baubranche verschlingt hierzulande etwa 90 Prozent der geförderten mineralischen Rohstoffe und verursacht gleichzeitig mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens. Wertvolle Materialien landen bei Umbau oder Abriss auf dem Müll, während bei Neubauvorhaben teilweise dieselben Materialien teuer bezahlt werden.“

Vom Fenstergitter zur Startrampe

Sofern sie keine Schadstoffe enthalten, ließen sich beinahe alle Baustoffe wiederverwenden oder zumindest höherwertig recyceln, betont Andrea Heil. „Zudem zeigt die Analyse mögliche Verwertungswege für die vorhandenen Bauteile auf.“ Zum Beispiel bei den Fenstern. „Davon haben wir insgesamt 147“, sagt Rositsa Doneva. „Sofern sie den aktuellen energetischen Anforderungen entsprechen, könnten wir sie ohne Probleme nach der Sanierung erneut einsetzen. Falls nicht, können sie immer noch ein zweites Leben bekommen – etwa als Trennwände im Innenbereich oder bei Gewächshäusern.“ Auch eine ausgefallenere Nutzung ist denkbar, wenn man sich beispielsweise die ehemaligen Kellerfenstergitter der Augsburger Stadtbücherei als Vorbild nimmt. Sie dienen heute als Startrampen einer Mountainbike-Strecke am Bodensee. Neben Fenstern sind auch Türen, Dachziegel oder Treppengeländer oftmals viel zu schade für den Bauschuttcontainer und besser auf Baustoffbörsen aufgehoben, wo sie schnell und unkompliziert neue Besitzer finden können.

Das Recycling von Baumaterial ist zum einen ein Vorteil für die Umwelt, weil es den CO2-Ausstoß und den Ressourceneinsatz reduziert. Zum anderen spart die Weiterverwendung aber auch Kosten – denn Bauschutt wird immer teurer. Die Entsorgung eines fünf Kubikmeter großen Containers mit gemischtem Bauschutt kostet bis zu 400 Euro. Ein Weiterverkauf bringt dagegen Geld ein. Im Durchschnitt erzielen Dachziegel 50 Cent pro Stück. Aufbereiteter Betonbruch schlägt mit 8,50 Euro pro Kubikmeter zu Buche. Ein Kilogramm Stahlschrott ist etwa 20 bis 30 Cent wert. Hochgerechnet auf die Rohstoffsubtanz der gesamten Bundesrepublik summiert sich die Rohstoffmenge in Gebäuden, Tiefbau und Straßen auf stolze 29 Milliarden Tonnen – ein wertvolles Materialvorkommen für die Zukunft, das außerdem noch unabhängiger von Importen aus Drittstaaten macht. Hinzu kommt: „Die Materialien sind in einem viel brauchbareren Zustand“, sagt Matthias Heinrich. „Man muss nicht erst das Erz aus einer Mine weiterverarbeiten, sondern hat direkt das fertige Produkt“. Aber ganz so einfach gibt die urbane Mine ihre Rohstoffschätze nicht frei.

Materialausweis für Gebäude

Gerade bei älteren Gebäuden ist es oft mühselig, alle relevanten Daten zusammenzusuchen. „In der Regel kommt man nicht umhin, sich alles ganz genau vor Ort anzuschauen. Es gibt Fälle, in denen muss auch stichprobenartig ein Loch in die Wand gebohrt werden, um zu prüfen, was wirklich dahinter ist“, so Heinrich. In Zukunft soll hier ein digitaler Ressourcenpass Abhilfe schaffen, eine Art Klimaführerschein fürs Gebäude. Darin soll genau dokumentiert werden, welche Produkte und Materialien eingesetzt werden, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist und welchen Wert sie haben. Die Kreislaufspezialistinnen von EPEA erstellen bereits seit mehreren Jahren solche Ausweise für Neubauten: Das Bürogebäude The Cradle in Düsseldorf, das Wohnhochhaus Moringa in Hamburg und die neue Drees & Sommer-Firmenzentrale, OWP 12 genannt, sind – wenn es irgendwann zum Umbau oder Abriss kommt – bereits ausgewiesen wiederverwertbar. Auch für die GWG wird es einen Praxis-Leitfaden geben, der neben dem Urban Mining auch kreislauffähige Konzepte für den Neubau beinhaltet. „Unser Anspruch ist, dass der Gebäuderessourcenpass nicht eine Formalie gegenüber Behörden und Banken wird, sondern einer lebenszyklusorientierten und ressourcenschonenden Bewirtschaftung dienen kann“, sagt Rositsa Doneva. Weitere Informationen >>>

zuletzt editiert am 04.05.2023