Die Bauberatung des Deutschen Beton- und Bautechnik-Vereins (DBV) ist sehr oft mit Fragen nach der Zulässigkeit von Rissen konfrontiert, zum Beispiel, ob Risse generell einen Mangel darstellen oder das ausführende Bauunternehmen daher alle auftretenden Risse instand setzen muss. Hier einige Antworten auf diese drängenden Probleme.
Immer wieder wird vonseiten der Bauherren der Standpunkt vertreten: „Ein Bauwerk mit Rissen habe ich nicht bestellt!“ Bei Stahlbetonbauteilen führt die im Vergleich zur Druckfestigkeit geringe Zugfestigkeit des Betons dazu, dass oberhalb eines bestimmten Beanspruchungsniveaus in der Zugzone des Verbundquerschnittes Risse entstehen. Hierdurch erst erhält der Bewehrungsstahl die ihm zugedachte Kraft aus der Betonzugzone und kann seine Wirkung entfalten.
Risse sind somit eine typische, die Bauart Stahlbeton kennzeichnende Erscheinung. Sie können selbst bei großer Sorgfalt bei Entwurf und Ausführung nicht zielsicher vermieden werden. Somit werden bei einem Bauwerk aus Stahlbeton in der Regel auch Risse „mitbestellt“ (vgl. eingangs zitierten Standpunkt). Wissenschaftliche Untersuchungen und die Erfahrungen der Praxis zeigen, dass Risse weder die Gebrauchstauglichkeit noch die Dauerhaftigkeit von Betonbauwerken beeinträchtigen, sofern sie ausreichend verteilt und ihre Breite auf ein unschädliches Maß begrenzt wird.
Begrenzung der Rissbreite
Das unschädliche Maß der Rissbreite hängt von den Umgebungsbedingungen sowie der Art und Funktion des Bauwerks ab. Die Anforderungen, die sich aus der Dauerhaftigkeit ergeben, sind z. B. für ein Innenbauteil des allgemeinen Hochbaus, das während seiner gesamten Lebensdauer vorwiegend trockenen Umgebungsbedingungen ausgesetzt ist, deutlich weniger streng als für ein der Witterung und evtl. sogar einer Chloridbeanspruchung (Tausalz) ausgesetztes Außenbauteil. Somit sind die aus technischer Sicht zulässigen rechnerischen Rissbreiten bei einem Innenbauteil auch größer als bei einem Außenbauteil. Grenzwerte der technisch zulässigen Rissbreiten sind in der Bemessungsnorm für Stahlbeton- oder Spannbeton in Abhängigkeit der auf das Bauteil einwirkenden Umgebungsbedingungen (Expositionsklassen) vorgegeben. Weitere Anforderungen an die zulässige Rissbreite können sich aus der Funktion des Bauwerks ergeben. Ist z. B. eine wasserundurchlässige Konstruktion (WU-Konstruktion, auch als Weiße Wanne bezeichnet) gefordert, übernimmt der Beton neben der tragenden auch die abdichtende Funktion. Gemäß ist vom Tragwerksplaner ein Entwurfsgrundsatz festzulegen. Für Entwurfsgrundsatz (b) beispielsweise werden in Abhängigkeit vom Druckgefälle des Wassers in Tabelle 2 (Nur sichtbar für Abokunden). Rechenwerte der Trennrissbreiten angegeben. Ein dazu alternativer Entwurfsgrundsatz (c) sieht dagegen vor, einige wenige Risse mit großer Rissbreite bewusst an dafür geeigneten Stellen hervorzurufen und diese dann planmäßig zu verschließen. Das ausführende Unternehmen ist bei WU-Konstruktionen (Weiße Wannen) somit gut beraten, beim Bauherrn bzw. dessen Planer vor Baubeginn nachzufragen, welcher Entwurfsgrundsatz der Konstruktion zugrunde liegt.
Neben einer Rissbreitenbegrenzung zur Sicherung der Dauerhaftigkeit und der Funktionalität können Rissbreiten auch durch explizite Vorgaben im Bauvertrag begrenzt werden, wie z. B. „Risse mit Rissbreiten > 0,2 mm sind nicht zulässig“. Bei Letzerem ist jedoch für das bauausführende Unternehmen Vorsicht geboten, denn eine solche vertragliche Forderung birgt erhebliche Risiken, wie weiter unten erläutert wird.
Rissursachen
Im Stahlbetonbau treten verschiedene Rissursachen auf, die jeweils zu unterschiedlichen Rissbildern, Risstiefen und Rissbreiten führen. Am einfachsten zu verstehen ist die Rissbildung aus äußeren Lasten. In der Regel führen solche Beanspruchungen zu Biegebeanspruchungen im Bauteil, in deren Folge die Zugzone aufreißt. Die Biegebeanspruchung kann vom Tragwerksplaner auf Basis der geltenden Regelwerke bestimmt und eine entsprechende Bewehrung zur Begrenzung der Rissbreite auf ein zulässiges Maß (siehe oben) ermittelt werden.
Schwieriger ist es mit den sog. Zwangsbeanspruchungen, die nicht durch äußere Lasten, sondern durch behinderte Verformungen hervorgerufen werden. Ein Beispiel ist die abfließende Hydratationswärme: Der zunächst noch verformbare Frischbeton erwärmt sich mit Beginn der Hydratation (Erhärtung) und dehnt sich dabei aus. Nach 3 bis 5 Tagen fließt die Hydratationswärme ab, d. h., das Bauteil kühlt wieder ab. Dies führt dann wieder zu einer Verkürzung des Betons, der allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht mehr plastisch verformbar ist und bereits eine (geringe) Zug- und Druckfestigkeit aufweist. Wird in diesem Zustand die Verkürzung des Betons durch Verzahnung mit dem Baugrund, Reibung, Anschluss an ältere Bauteile o. Ä. behindert, führt dies in der Regel zu Rissen, vgl. Abb. 2. Als weitere Rissursache soll noch das sog. Frühschwinden oder Kapillarschwinden angesprochen werden. Wird Frischbeton ohne Schutzmaßnahmen dem Austrocknen durch Wind, Sonneneinstrahlung etc. ausgesetzt, entstehen Oberflächenrisse, die unter äußerst ungünstigen Umständen mehrere Millimeter breit und mehrere Zentimeter tief werden können. Derartige Risse können zuverlässig durch eine frühzeitige und ausreichende Nachbehandlung vermieden werden.
Dieser Beitrag ist Teil eines Artikels aus Baugewerbe , Ausgabe 9.2013
Autor: Denis Kiltz

 
                     
                     
                    