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Am 29. Mai brannte die Fassade an einem Neubau eines Wohn- und Geschäftshaus in Frankfurt am Main. Das Wärmedämmverbundsystem mit Polystyrol stand über die gesamte Gebäudehöhe in Flammen. (Foto: Berufsfeuerwehr Frankfurt)

Außendämmung 11. September 2012 Gedämmte Gefahr

Die Diskussion um den Brandschutz von Fassadendämmungen mit Polystyrol reißt nicht ab. Ein kritischer Brand im Mai in Frankfurt am Main veranlasste auch den Chefredakteur des FeuerTRUTZ-Magazins, sich mit diesem Thema in einem Brennpunkt auseinander zu setzen. Wir geben seinen Kommentar im Wortlaut wieder.

Bereits in den Ausgaben 1.2009 und 2.2012 haben wir im FeuerTRUTZ Magazin ebenso im E-Mail-Newsletter über die Problematik des Brandschutzes bei Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) mit Polystyrol berichtet. Doch das Thema ruht nicht. Mit einem massiven Großbrand am 29. Mai 2012 in Frankfurt am Main und den nachfolgenden Veröffentlichungen, u.a. im SPIEGEL, hat die Diskussion eine neue Qualität erreicht.

Was war passiert? Am Abend des 29. Mai wurde zunächst ein kleines Feuer an der Fassade eines neu errichteten Wohn- und Geschäftshause in der Frankfurter Adickesallee gemeldet. Obwohl die Berufsfeuerwehr rasch vor Ort war, konnte nicht verhindert werden, dass der Brand sich über alle sechs Stockwerke ausdehnte und in die gesamte Fassade in Flammen stand (Abb. 1).

"Es gilt zu untersuchen, ob größere Bauwerke damit noch gedämmt werden sollten."

Prof. Reinhard Ries, Chef der Frankfurter Berufsfeuerwehr im SPIEGEL 26/2012

Das Gebäude war mit einem Wärmedämm-Verbundsystem (WDVS) mit Hartschaumplatten aus expandiertem Polystyrol (EPS) versehen und teilweise frisch verputzt. Die Brandursache waren offenbar Baustellenarbeiten, die einen Stapel der EPS-Platten am Fuße des Gebäudes entzündeten. Glücklicherweise war das Gebäude noch nicht bezogen, so dass keine Personenschäden auftraten.

In Frankfurt war dies der dritte Brand dieser Art in kurzer Zeit. In Sachsenhausen geriet 2010 ein siebenstöckiges Wohn- und Geschäfts in Brand. Im November 2011 brannte eine gedämmte Fassade in der Battonstraße.

Der Brand der Prenzlauer Promenaden am 21.5.2005 mit 2 Toten sowie in Delmenhorst am 11.6.2011 mit 50 beschädigten Wohnungen stehen exemplarisch für die Notwendigkeit einer kritischen Betrachtung.

Brandschutz und Energieeinsparung

Eine effiziente Wärmedämmung von Gebäuden ist für die notwendige Einsparung von Energie unumgänglich. Ein großer Teil des Gesamtenergiebedarfs in Deutschland geht in den Sektor der Heizung von Gebäuden. Diesen Anteil zu senken, ist dringend notwendig. Die Anforderungen werden sicher in den nächsten Jahren weiter verschärft sowie auf Bestandgebäude ausgedehnt. Dabei ist zu erwarten, dass die bereits heute vorgeschriebenen Wärmedämmwerte weiter steigen und zwangsläufig noch dickere WDV-Systeme auf den Fassaden zum Einsatz kommen.

Dass dabei WDVS auf Polystyrolbasis mit rund 80 % den größten Anteil haben, liegt an dem günstigen Preis im Vergleich zu anderen Dämmungsvarianten. Aber natürlich müssen diese Systeme sicher sein und zwar in allen Situationen.

Zulassung überprüfen

Das für die bauaufsichtliche Zulassung von WDV-Systemen zuständige Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) kommt in seiner Stellungnahme vom 21.12.2011 zu dem Ergebnis, dass die bisher zugelassenen WDV-Systeme auf Polystyrol-Basis hinreichend sicher sind.

Das DIBt stellt zur Einstufung der Platten in die Baustoffklasse B21 fest: "Die Einstufung ‚schwerentflammbar‘ bedeutet dabei, dass unter den Bedingungen eines beginnenden Zimmerbrandes bzw. bei Beanspruchung einer Außenwandbekleidung durch Flammen aus einem im Vollbrand stehenden Raum der energetische Beitrag des betreffenden Baustoffs (hier WDV-System) zum Brand sowie die daraus resultierende Brandausbreitung über den Primärbrandbereich hinaus gering sind. WDV-Systeme mit o. g. Dämmstoffplatten, insbesondere bei großen Dämmstoffdicken (> 100 mm), sind bei Brandbeanspruchungen im Sturzbereich von Öffnungen kritisch und können sich unter bestimmten Bedingungen wie normalentflammbare Baustoffe verhalten, d. h. eine ungehinderte Brandausbreitung ist möglich."

Doch der Frankfurter Brand zeigt ein anderes Ergebnis. Eine Brandausbreitung über die gesamte Gebäudehöhe mit sechs Stockwerken dürfte es eigentlich nicht geben. Auch ein Stützfeuer, wie es der Stapel EPS-Platten in diesem Fall war oder ein Müllcontainer bei dem Brand in Delmenhorst, sollte nicht zu solch dramatischen Brandverläufen führen.

Deshalb wird sich offenbar auch die Bauministerkonferenz im 20./21. September in Saarbrücken mit diesem Thema befassen. Im SPIEGEL forderte der hessische Bauministers Florian Rentsch (FDP): "Man müssen zusätzliche Großbrandversuche in Betracht ziehen, um das Risiko realistisch zu beurteilen. Auch die bauaufsichtliche Zulassung des Dämmmaterials gehört auf den Prüfstand."

"Wüssten die Menschen um das Risiko, würden sie dagegen auf den Straßen protestieren". Albrecht Broemme, Präsident des Technischen Hilfswerks und ehemaliger Berliner Feuerwehrchef im Spiegel 26/2012

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Nach dem Brand zeigte sich das ganze Ausmaß: Über die gesamte Gebäudehöhe war die Fassade in Brand geraten, obwohl die Feuerwehr frühzeitig Löschmaßnahmen einleitete. (Foto: Berufsfeuerwehr Frankfurt)

Welche Fragen stellen sich?

Die bisherige Diskussion muss sachlich und kritisch fortgeführt werden. Eine Reihe von Fragen sind in den nächsten Wochen zu klären, damit nicht in der breiten Bevölkerung Angst vor Wärmedämmung entsteht. Die Systemunterschiede sind dem Laien kaum zu vermitteln. Stattdessen steht stets der Preis im Vordergrund - besonders dann, wenn bei mehrstöckigen Wohn- und Geschäftshäusern ein Bauträger der Bauherr ist.

Folgende Fragen müssen beantwortet werden:

- Entsprechen die Prüfbedingungen der bauaufsichtlichen Zulassung der Baustellenpraxis?

- Wie häufig werden die geforderten Brandsperren und Brandriegel mangelhaft eingebaut? Ist die Bauüberwachung ausreichend?

- Bis zu welcher Dämmstoffdicke sind WDV-Systeme mit EPS-Platten als schwer entflammbar einzustufen?

- Müssen Fassadenteile, an denen ein Stützfeuer möglich ist, z.B. über Müllcontainern, anders beurteilt werden?

- Ist der Brand aus der Wohnung das einzige Prüfungsszenario?

- Müssen in ländlichen Regionen, in denen die Feuerwehr nicht rechtzeitig eingreifen kann, für Fassadendämmungen andere Planungen erfolgen?

Panikmache ist nicht zielführend. Dafür ist die Anzahl der Brandschäden mit gravierenden Folgen zu gering wenn man die bekannten Fälle betrachtet. Aber ein unabhängiges kritisches Überprüfen der Systeme und ggf. eine Anpassung an die Situation auf den Baustellen ist notwendig. Schließlich ist die Wärmedämmung unserer Gebäude eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben.

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zuletzt editiert am 09.04.2021