Geschäftsführer Friedrich Remes stellte die Aussteller persönlich vor. (Quelle: B+B Bauen im Bestand/M. Henke)

Bautenschutz 30. September 2021 Die Freude, sich zu treffen

DHBV-Sachverständigen und Verbandstagung 2021

Die Freude, sich nach zwei Jahren Corona-bedingter Pause wieder persönlich treffen zu können, war allen Teilnehmern der DHBV-Sachverständigen- und Verbandstagung am 24./25. September 2021 in Erfurt deutlich anzumerken.

Dabei wagte der Fachbereich „Sachverständige“ unter der Leitung von Georg Brückner ein Experiment: Statt in die technischen Details der sachverständigen Tätigkeit einzutauchen, ging es um nichts weniger als unsere und die Zukunft des Bauwesens. Was muss die Bauwirtschaft mit ihrem hohen Energie- und Ressourcenverbrauch tun, um zukünftig einen besseren und wirksameren Beitrag zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zu leisten? Diese Frage schwebte mehr oder weniger direkt über den Vorträgen – mit Ausnahme des ersten Referats von Marc Ellinger, der darlegte, dass das Thema Radon durch das Strahlenschutzgesetz und die Strahlenschutzverordnung nicht nur ein Sanierungsthema ist, sondern die Betriebe auch in ihrer Funktion als Arbeitgeber und in ihrer Verantwortung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz betrifft.

Grundsätzlicher wurde es bei Klaus Dosch von der faktor x-Agentur. Er zeigte, dass der Klimawandel „nur ein Symptom für eine aus den Fugen geratene Ressourcennutzung ist“, da es nicht gelungen sei, die Steigerung unseres Wohlstands vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Läuft alles so weiter wie bisher, wird der Ressourcenverbrauch im Vergleich zu 1970 bis 2060 um den Faktor 8 zunehmen. Dosch erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die Bereiche Bauen und Wohnen für circa 40 Prozent des Energie- und Ressourcenverbrauchs verantwortlich sind.

Ein Bewertungssystem, das Energiebedarf, Treibhauspotenzial und Verbrauch abiotischer Rohstoffe einbezieht, stellte Klaus Dosch vor. (Quelle: B+B Bauen im Bestand/M. Henke)

Im zweiten Teil seines Referats kritisierte er zum einen, dass sich die Baupolitik zu eng allein auf den Energieverbrauch der Gebäude fokussiert und hier versucht, diesen mit großem Aufwand immer weiter zu verringern. Doschs These lautet: Wir haben hier die falsche Rechenvorschrift und kommen nicht umhin, nicht nur die Nutzungsphase eines Gebäudes zu betrachten, sondern den gesamten Lebenszyklus. Denn wir brauchen nicht nur eine Energiewende, sondern auch eine Klima- und eine Rohstoffwende. Dosch kritisierte zum zweiten die bestehenden Bewertungsverfahren für die Nachhaltigkeit von Gebäuden, zum Beispiel die DGNB-Bewertung, als zu komplex, zu langwierig und zu teuer.

Er hat stattdessen ein eigenes System entwickelt, das auf drei Bewertungssäulen fußt und bereits in manchen Neubaugebieten als Anforderung für die Bauherren angewandt worden ist. Dieses Bewertungssystem beruht vereinfacht auf drei Indikatoren: der nicht erneuerbaren Primärenergie (Graue Energie), dem Globalen Treibhauspotenzial (GWP), also den CO2-Ausstoß durch Heizung, Kühlung und Baustoffe, sowie dem abiotischen Ressourcenverbrauch, das heißt den Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe. Hier wird die Verwendung von recycelten und nachwachsenden Rohstoffen und solchen, die mit geringem Aufwand gewonnen werden können (Stichwort: nicht verwertete Entnahme), positiv bewertet. Alle diese Faktoren fließen in eine Lebenszyklusbewertung ein, deren Ergebnisse in einem einfachen „Ressource-Score“ in den Bewertungsklassen A bis G (analog zu Elektrogeräten) dargestellt werden können. Zurzeit arbeitet Dosch daran, ein solches Verfahren auch für Bestandsgebäude beziehungsweise Bestandsbaumaßnahmen zu entwickeln.

Luft-Wärmepumpen sind nicht effizient

Gabriele Purper setzte sich in ihrem Vortrag kritisch mit Luft-Wärmepumpen auseinander. Diese vor allem im Neubau zurzeit bevorzugte Heizungsform sei nicht effizient, da sie den höchsten Energiebedarf im Winter habe, wenn die Erzeugung regenerativer Energie eher schwach ausgeprägt sei. So hätten Feldtests ergeben, dass die Jahresarbeitszahl von Luft-Wärmepumpen zwischen 2,6 und 3,3 liege, bei Bestandsgebäuden sogar nur zwischen 2,4 und 2,7. Unter Effizienzgesichtspunkten benötige man aber einen Mindestwert der Jahresarbeitszahl von 4,0. Da es diese Technologie schon seit Jahrzehnten gebe, rechnet Purper nicht damit, dass die Effizienz durch neue technische Entwicklungen deutlich gesteigert werden könne. Alternativen sieht sie darin, die Gebäudesanierung qualitativ und quantitativ voranzutreiben, Nahwärmenetze aufzubauen, den Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung mit erneuerbaren Energien (Power-to-gas) und wo möglich Erdreich-Wärmepumpen zu installieren.

Was sich tut, um Baustoffe lange zu nutzen

Einen Überblick über Forschungsvorhaben zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen gab Dirk Klöpper. Das Ziel: möglichst viele Baustoffe möglichst umfangreich wieder zu verwerten und zwar hochwertig, also nicht thermisch oder als Unterbau im Straßenbau. Als Beispiele, womit sich diese Forschung zurzeit beschäftigt, nannte Klöpper:

  • das Produktdesign, um Wiederverwertung und Recycling zu ermöglichen beziehungsweise zu vereinfachen,
  • die Erfassung von Gebäuden als Rohstofflager und die Erarbeitung eines Bau-Atlas, um regionale Potenziale aufzuzeigen,
  • die Einbeziehung von (auch kleineren) Sanierungs- und Umbaumaßnahmen in Kreisläufe,
  • Konzepte von Rückgaberecht und -pflicht, um die Weiternutzung von Bauteilen und Baustoffen durch den Hersteller zu fördern,
  • den Aufbau einer cloudbasierten umfassenden Datenbank für gebrauchte, noch nutzbare Bauteile (GAIA-X),
  • die Etablierung eines Bewertungstools für BIM, um Kreislaufkriterien bereits in den frühen Leistungsphasen einbeziehen zu können,
  • die Entwicklung von Recycling-Technologien und -Systemen,
  • die bauliche Trennung von Bauteilen mit unterschiedlichen Dauerperspektiven, zum Beispiel Tragstrukturen, Fassade und Innenausbau.

Wir brauchen einen tiefgreifenden Wandel

Dass wir einen tiefgreifenden Wandel unserer Lebens- und Wirtschaftsweise brauchen, führte Prof. Dr. Henning Austmann den Teilnehmern eindringlich vor Augen. (Quelle: B+B Bauen im Bestand/M. Henke)

Am eindringlichsten war der Vortrag von Prof. Dr. Henning Austmann. Er führte den Teilnehmern zunächst nachdrücklich vor Augen, warum wir einen tiefgreifenden Wandel unserer Lebens- und Wirtschaftsweise brauchen – und zwar schnell, bevor die sogenannten Kipppunkte erreicht sind. Der Klimawandel sei nur eines der existenziell bedrohlichen Probleme. Gleiches gelte für den Ozonverlust und den Aerosolgehalt in der Atmosphäre, den Landnutzungswandel, die Versauerung der Meere, den Zustand der Flüsse und den Verlust an Artenvielfalt. Bevölkerung, Bruttosozialprodukt, Auslandsinvestitionen, Verkehr, Telekommunikation, und, und, und sind in den vergangenen 70 Jahren exponentiell gewachsen, womit wir an unsere planetaren Grenzen gestoßen sind.

Unsere Lebensweise, die wir als normal empfinden, ist nicht normal, sagte Austmann. Sie hat sich erst in den vergangenen 70 Jahren herausgebildet und beruht auf einer maximalen Abhängigkeit von der Kernressource Öl und Gas. Unser Lebensstil sei weder ökologisch, noch ökonomisch noch sozial zukunftsfähig, denn für diesen benötigten wir drei Planeten, verfügen aber nur über einen. Ein Wandel werde kommen, entweder indem wir ihn gestalten oder durch die Katastrohe (Design oder Desaster).

Das Problem, die Zustandsanalyse sei in der internationalen Politik bekannt, erläuterte Austmann, obwohl sie sich scheut, dieses Kernproblem auch klar zu benennen. Die Lösung, die präsentiert werde, führe in die Katastrophe, denn sie laute: Mehr vom bisherigen, also mehr Globalisierung, mehr Technisierung und mehr Wachstum. Man versuche also, das Problem mit den Mitteln und der Denkweise zu bekämpfen, die erst zu dieser Situation geführt haben. Die vergebliche Hoffnung bestehe darin, das Wachstum von der Naturzerstörung zu entkoppeln, was aber nicht funktioniere. Man erreiche allenfalls eine relative Entkopplung, also Wachstum mit etwas weniger Naturzerstörung. Deshalb „brauchen wir ein wachstumsunabhängiges Wirtschaftsmodell und eine tiefgreifende Veränderung unserer Lebensstile“. Und wir brauchen ehrliche Preise, die abbilden, was an Naturzerstörung in den Produkten (und Dienstleistungen) drin steckt. Austmann betonte, dass das nicht „Verzicht“ bedeute, sondern mehr Lebensqualität, indem man zum Beispiel den Faktor Zeit höher gewichte als den Faktor Geld und wir mit sozialen Innovationen (statt nur technischen) lernen, unser Leben unter Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen sinnvoller und befriedigender zu gestalten. Wir müssten uns die Frage stellen, welches Wohlstands- und Konsumniveau ausreichend sei.

Austmann skizzierte für verschiedene Bereiche, in welche Richtung jeweils die Entwicklung gehen müsse:

Ernährung: regional, saisonal, fleischarm, regenerativ, mit der Natur im Einklang,

Mobilität: regional, teilend, öffentlich, ressourcenarm (weshalb Elektromobilität mit der dafür notwendigen zu schaffenden Infrastruktur nicht die Lösung der Probleme ist),

Bauen: ökologisch, ressourcen- und flächenschonend,

Wohnen: gemeinschaftlich mit Mehrgenerationen- und Mehrparteienhäusern,

Konsum: weniger, länger, intensiver, mit anderen teilend,

Energie: deutlich weniger, regenerativ,

Wirtschaft: regionalisiert, mit menschlichem Maß, in Kreisläufen, kooperativ statt weiter blind globalisiert etc.,

Arbeit: die durchschnittliche Lohnarbeitszeit deutlich senken, kooperativ in lokalen Netzen und sinnvoll.

Der Wandel, den dies bedeute, müsse von unten kommen. Es gebe bereits zahlreiche Initiativen, die sich auf diesen Weg gemacht haben.

Manche Teilnehmer waren vor der Sachverständigentagung bei der Sichtung des Programms skeptisch gewesen. Nach den Vorträgen hörte man fast ausschließlich begeisterte Stimmen.

Am zweiten Tag kamen technische Detailfragen zur Sprache

Am zweiten Tag auf den Konferenzen der Fachbereiche Bautenschutz, Schimmelpilze und Holzschutz ging es schließlich um konkrete technische Fragen wie die Anwendung der Abdichtungsnormen in der Praxis und welche Fehler man dabei nicht machen sollte. Das Problem der Hintergrundwerte von Baumaterialien in der Bewertung eines Schimmelpilzbefalls legte Dr. Christoph Trautmann dar. Er stellte einen statistisch hergeleiteten Vorschlag vor, wobei es bislang keine repräsentative Untersuchung mit unbelasteten Proben gibt. Dennoch werden solche Hintergrundwerte auch vor Gericht herangezogen, wie Jochen Kern an einigen aktuellen Urteilen darlegte.

In der Holzschutzkonferenz ging Ulrich Arnold der Frage nach, was an Holzschäden bei älteren Gebäuden als normal und was als Mangel anzusehen ist. Denn, wie er erläuterte, gebe es kaum ein vor 1950 errichtetes Gebäude ohne Schäden oder einen Befall durch Holzschädlinge. Hier ist jeweils zu klären, ob es sich um einen aktiven oder einen Altschaden handele und ob dieser statisch relevant sei, wobei Pilzschäden statisch häufig gravierender sind als Insektenschäden. Er veranschaulichte dies mit einigen Beispielen.

Auch Reiner Klopfer hatte einige anschauliche Beispiele in seiner Präsentation, die sich um Schäden in Flachdächern in Holzbauweise drehte. Er differenzierte fünf unterschiedlich fehlertolerante Flachdachtypen entsprechend des Merkblatts „Flachdächer in Holzbauweise“ des Informationsdienstes Holz. Die Ursachensuche in den Beispielen war aufwendig. Und nicht immer war die Bauphysik das Problem, sondern auch die Konstruktion (Beispiel 1) oder mangelnde Wartung und Pflege (Beispiel 2) führten zu gravierenden Schäden.

In den Fachkonferenzen kamen also die bautechnisch Interessierten auf ihre Kosten. Aber am wichtigsten war sowieso, dass man endlich wieder persönlich miteinander sprechen konnte –über eigene aktuelle Projekte und Aufgaben und einfach so.

Michael Henke

In Kürze

Der Fachbereichsleiter Sachverständige, Georg Brückner, kündigte an, dass er im kommenden Jahr die Leitung des Fachbereichs abgeben werde. Sein bisheriger Stellvertreter Christoph Tetz soll dann die Leitung übernehmen, Stefan Schebesta neuer Stellvertreter werden.

Georg Brückner (links) wird die Leitung des Fachbereichs Sachverständige im kommenden Jahr abgeben. Christoph Tetz (Mitte) soll seine Nachfolge antreten, Stefan Schebesta (rechts) neuer Stellvertreter werden. (Quelle: B+B Bauen im Bestand/M. Henke)

Der Vorstand des DHBV mit Gero Hebeisen (Präsident), Frank Gerst (1. Stellvertreter) und Heiko Teutenberg (2. Stellvertreter) wurden bei den Wahlen ebenso bestätigt wie die Fachbereichsleiter Rainer Spirgatis, Constanze Messal und Ekkehard Flohr.

Freuen sich über ihre Wiederwahl (von links): Heiko Teutenberg (2. Vizepräsident), Dr. Constanze Messal (Leitung Fachbereich Schimmelpilze), Gero Hebeisen (Verbandspräsident), Ekkehard Flohr (Leitung Fachbereich Holzschutz), Rainer Spirgatis (Leitung Fachbereich Bautenschutz) und Rainer Merkel (Rechnungsprüfer). In Abwesentheit gewählt wurden Frank Gerst (1. Vizepräsident) und Michael Diehl (Rechnungsprüfer). (Quelle: B+B Bauen im Bestand/M. Henke)

Rainer Spirgatis berichtete über eine neue theoretische und praktische Ausbildung für die Ausführung von flüssig zu verarbeitenden Abdichtungsstoffen (PMBC, Dichtungsschlämmen und FPD). Sie wird den bisherigen PMBC- bzw. KMB-Schein ablösen. Für Menschen, die den alten Schein besitzen, wird eine kürzere (Auffrischungs-)Fortbildung angeboten.

Weitere Informationen unter www.DHBV.de

zuletzt editiert am 30.09.2021