Selbstreinigend, Schadstoffe abbauend, Hitze reflektierend: Moderne Fassadenbeschichtungen sind auch beim Bauen im Bestand multifunktional. Ihre Kernaufgabe, den Baukörper vor Umwelteinflüssen zu schützen, vernachlässigen sie dabei keineswegs.
Farbe an der Fassade übernimmt nicht nur ästhetische sondern auch funktionale Aufgaben. In der Vergangenheit ging es dabei um den Schutz vor Witterungseinflüssen und Schadstoffen sowie vor chemischen und mechanischen Beanspruchungen. Dafür standen verschiedene Gruppen von Beschichtungen zur Verfügung, die nach ihren Hauptbindemitteln in Kalk-, Dispersionssilikat-, Siliconharz- und Dispersionsfarben eingeteilt wurden. Diese Ordnung basierte auf der Überzeugung, dass mit Ausnahme des Farbtons in erster Linie das Bindemittel für alle wesentlichen Eigenschaften einer Fassadenfarbe verantwortlich sei. Dies kommt auch in der DIN 1062-1 zum Ausdruck, die besagt, dass „die Beschreibung des Bindemitteltyps […] von demjenigen Bestandteil des Bindemittels abzuleiten [ist], der für die charakteristische Eigenschaft des resultierenden Beschichtungssystems maßgebend ist.“
Im Kontrast zu dieser ausschließlichen Konzentration auf die Bindemittel steht die Tatsache, dass ihr für die gewünschten Eigenschaften notwendiger Anteil lediglich in der DIN 18363 erwähnt wird. Nur für Dispersionssilikatfarben ist dort, bezogen auf das Hauptbindemittel Kaliwasserglas, ein Grenzwert der organischen Bestandteile von maximal fünf Prozent festgelegt. Dies bedeutet in letzter Konsequenz, dass in allen anderen Fällen alleine der Hersteller entscheidet, welchem Hauptbindemittel er sein Produkt zuordnet und welche Eigenschaften er seinem Produkt auf diese Weise zuschreibt.
Dass dabei Schindluder getrieben wird, haben 2004 und 2007 interne Untersuchungen eines führenden Herstellers an über 50 europäischen Produkten aufgezeigt: Nur ein ganz geringer Teil der im Markt gehandelten Siliconharzfarben weist einen etwa fünfzigprozentigen Anteil dieses Bindemittels auf und ist somit wirklich zu den „echten Siliconharzfarben“ zu rechnen.
Für die Formulierung von Silicon(harz) farben sind drei Arten von Siliconen relevant. Deren Wertigkeit wächst von Silanen über Siloxanen zu Polysiloxanen beziehungsweise Siliconharzen. Nur hochwertige Siliconharze ergeben in einer ausgewogenen Verbindung mit einer Polymerdispersion eine echte Silconharzfarbe. Diese weist extrem gute Wasserdampf-Durchlässigkeitswerte auf, ebenso eine hohe Durchlässigkeit für Kohlendioxid, eine gute Witterungsbeständigkeit und sehr gute wasserabweisende Eigenschaften.

Angesichts der Großzügigkeit, mit der Produkte Bindemittelklassen und deren Eigenschaften zugeordnet werden, ist es an der Zeit, unvoreingenommen einen neuen Blick über den Eimerrand zu wagen. Fassadenfarben bestehen aus mehr als 25 verschiedenen Rezepturkomponenten. Den größten Anteil daran haben die sogenannten Füllstoffe. Sie machen rund 80 Prozent der trockenen Nutzschicht aus. Und diese Füllstoffe sind weit wichtiger für die Eigenschaften einer Beschichtung, als die bisherige Lehrmeinung glauben macht. Ihre Aufgabe beschränkt sich keineswegs auf Volumenbildung. Bereits bei der erstmaligen Umsetzung des Lotus-Effekts in einer Fassadenfarbe wurde deutlich, dass die Auswahl der richtigen Füllstoffe zugleich die Wahl der korrekten Funktionsstoffe war. Neueste Forschungsergebnisse bestätigen dies und belegen, dass sich mit der „Umwandlung“ von Füllstoffen in Funktionsstoffe alle wesentlichen Eigenschaften einer Farbbeschichtung gezielt optimieren lassen. Das heißt, mit dem entsprechenden Know-how lassen sich Fassadenfarben über Bindemittelklassen hinweg auf spezielle Nutzungsbedürfnisse einstellen. Auf diesem Wege kann man die Funktionalität einer Fassadenfarbe deutlich erweitern; neue Eigenschaften (Selbstreinigung, Schadstoffabbau, …) ergänzen die Aufgaben der altvertrauten Anstriche.
Eine stabile Bindemittelbasis, die mit neuen Funktionsgruppen angereichert wird, sorgt für Nutzungseigenschaften, die erst dann der jeweiligen (nicht selten neuen) Hauptbeanspruchung eines modernen Fassadensystems gerecht werden. Bauphysikalischen Notwendigkeiten, Anforderungen des Standorts oder schlicht Gestaltungswünschen kann wesentlich besser Rechnung getragen werden. Ein hoher Anteil der entscheidenden Funktionsstoffe in der trockenen Nutzschicht sorgt dabei für eine lange Lebensdauer dieser Eigenschaften.
Geringe Wasseraufnahme mit guter Diffusionsfähigkeit ist ideal
Zwei bauphysikalische Größen bestimmen den Einfluss einer Fassadenbeschichtung auf das Feuchtemanagement: Zum einen der W-Wert, der die Wasseraufnahme einer Beschichtung beschreibt, und zum anderen der s d -Wert, der den Widerstand gegen Wasserdampf in einem Bauteil ausdrückt. Der W-Wert (W1 bis W3) beschreibt, ob und wie viel Wasser durch eine Beschichtung aufgenommen und in den Untergrund abgegeben werden kann. Je kleiner die Wasseraufnahme ist, umso besser sind der Feuchte und Regenschutz, wobei W1 eine hohe und W3 eine geringe Wasseraufnahme meint.
Der s d -Wert beschreibt die Diffusionsfähigkeit von Wasserdampf durch einen Stoff. Geeignete Fassadenbeschichtungen weisen einen s d-Wert unter 0,14 auf. Da es in der Regel günstig ist, wenn Baukonstruktionen trocken bleiben, hat sich die Kombination von geringer Wasseraufnahme (W3) mit einer guten Diffusionsfähigkeit ( s d < 0,14) als ideal herausgestellt.
Dieser Beitrag ist Teil eines Artikels aus B+B BAUEN IM BESTAND , Ausgabe 2. 2012
Autor: Reiner Schmid

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