Gebauedeschadstoffe-Innenraumluft-Cover
Die erste Ausgabe der Zeitschrift ist im November 2016 erschienen.

Schadstoffe 2016-10-28T00:00:00Z Leseprobe: Asbesthaltiges Morinol muss ausgebaut werden

Die neue Fachzeitschrift „Gebäudeschadstoffe und Innenraumluft“ informiert umfassend zu Schadstoffen in Bauteilen und in der Raumluft. Die erste Ausgabe legt den Schwerpunkt auf Asbest in Fliesenklebern, Spachtelmassen und Putzen. Wir veröffentlichen eine Leseprobe zum Thema Fugendichtstoff Morinol.

Die zwei Mal jährlich erscheinende Fachzeitschrift zum Schutz von Gesundheit und Umwelt bei baulichen Anlagen sammelt Fachbeiträge namhafter Autoren zur Analyse, Bewertung und rechtlichen Beurteilung von Schadstoffen in Gebäuden. In jeder Ausgabe behandeln die Herausgeber Hans-Dieter Bossemeyer, Dr. Lothar Grün und Dr. Gerd Zwiener ein anderes Schwerpunktthema. Die nächste Ausgabe, die im Mai 2017 erscheint, legt den Fokus auf Emissionen aus Bauprodukten. Das Periodikum kann einzeln oder im Fortsetzungsbezug erworben werden.

Hier finden Sie alle weiteren Informationen zur Zeitschrift Gebäudeschadstoffe und Innenraumluft – Fachzeitschrift zum Schutz von Gesundheit und Umwelt bei baulichen Anlagen .

Die folgende Leseprobe ist ein Auszug aus einem Artikel zum Umgang mit dem asbesthaltigen Fugendichtstoff Morinol aus Ausgabe 1 – Asbest in bauchemischen Produkten.

Verbot der Überbauung asbesthaltiger Fugendichtstoffe – Verwaltungsgerichtsentscheidungen in Sachsen-Anhalt 2015 und 2016

Aufgrund gegensätzlicher Interpretationen der Vorschriften der Gefahrstoffverordnung vom Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt als der staatlichen Aufsichtsbehörde einerseits sowie von einer bauausführenden Firma und der Bauherrin andererseits kam es in Sachsen-Anhalt 2013 zu einer verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzung. Die grundlegende Differenz bestand zwischen der Position der Aufsichtsbehörde, dass vor der Durchführung von Wärmedämmmaßnahmen an der Gebäudefassade eines Plattenbaus vorhandener asbesthaltiger Fugendichtstoff entfernt werden muss, und der Position der bauausführenden Firma und der Bauherrin, dass dieser Fugendichtstoff mit einer Wärmedämmung überbaut werden darf. Das 2015 zugunsten der Aufsichtsbehörde ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg wurde 2016 vom Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt bestätigt.

Verwendung des asbesthaltigen Fugendichtstoffs Morinol
In Plattenbauten in der DDR diente zur Abdichtung der Außenwandfugen zwischen den Großbauplatten in vielen Fällen der unter der Produktbezeichnung Morinol bekannte asbesthaltige Fugendichtstoff. Morinol ist ein plastischer Kunststoff auf der Basis von Polyvinylacetat in Verbindung mit Lösungsmitteln (Hexylacetat), Füllstoffen (Asbest, Kreide) und einem Weichmacher (Octandiol). Der Asbestgehalt liegt zwischen 10 und 40 %. Damaliger Hersteller war der VEB Bauchemie Leipzig. Morinol wurde von 1963 bis 1984 produziert. Die Asbestfasern waren dem Kunststoffgemisch als Bewehrungskomponente zugesetzt, um eine höhere Dehnfestigkeit und Formstabilität bei Temperaturschwankungen zu erreichen (zu Morinol vgl. im Einzelnen Leydolph, 2007, S. 28 ff.).

Plattenbau-Morinol
In Hunderttausenden Plattenbauten ist asbesthaltiger Fugendichtstoff verbaut. (Abb.: Owen Gräfe, 2013)

Die Verwendung von Morinol war abhängig vom Plattenbautyp, von der Außenwandkonstruktion und der damit verbundenen Fugenausbildung sowie vom Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes. Morinol wurde entsprechend vor allem an Außenwänden mit einem sogenannten geschlossenen Fugensystem sowie im Spritzwasserbereich in Kellerhöhe verwendet. In der Regel sind zum einen die Wohngebäude nach Bautyp P2 betroffen, die bis Mitte der 1980er-Jahre errichtet wurden. Zum anderen wurde Morinol in Gebäuden nach Bautyp WBS 70 hauptsächlich an den Wandanschlussfugen der Loggien, als Fensterdichtung sowie im Innenbereich an Türzargen, Lüftungsschächten und Kabelkanälen eingesetzt. Mit der Verwendung dreischichtiger Betonsandwichplatten als Außenwandplatten Anfang der 1980er-Jahre wurde die Außenwandfuge dann als offenes Fugensystem ohne Fugendichtstoff ausgebildet. Es kann davon ausgegangen werden, dass ab dem Jahr 1986 kein asbesthaltiger Fugendichtstoff mehr verwendet wurde.

Morinol hat eine Rohdichte von etwa 1.300 kg/m³ und ist deshalb nicht direkt über das Dichtekriterium den fest gebundenen asbesthaltigen Produkten zu zuordnen. Aufgrund der sehr guten Haftung der Asbestfasern in der Polymermatrix ist das Faserfreisetzungspotenzial von Morinol, sofern die Oberfläche nicht stark verwittert ist, eher gering und mit dem Faserfreisetzungspotenzial fest gebundener asbesthaltiger Produkte vergleichbar.

Durch Umwelteinflüsse und Verwitterung tritt jedoch eine Versprödung der Morinol-Oberfläche und ein Volumenschwund auf, wodurch Flankenabrisse an der Betonkante auftreten, sodass die Dichtheit der Fuge nicht mehr gewährleistet ist. Aus der spröden Oberfläche des Fugendichtstoffs ragen Asbestfaserbündel heraus (siehe Abbildung), von denen sich bei mechanischer Einwirkung im Fugenbereich je nach Verwitterungszustand mehr oder weniger leicht einzelne Asbestfasern ablösen können.

(…)

Das rechtliche Problem
Soll ein Wärmedämm-Verbundsystem auf die Außenwände von Plattenbauten aufgebracht werden, bei denen die Plattenfugen mit dem asbesthaltigen Fugendichtstoff Morinol verfüllt sind, entsteht aus rechtlicher Sicht folgende Frage: Darf die Wärmedämmung ohne vorherige Entfernung des Fugendichtstoffs auf die Außenwandflächen montiert werden, d. h., kann der asbesthaltige Fugendichtstoff unter der Wärmedämmung verbleiben oder muss er vor dem Aufbringen der Wärmedämmung entfernt werden?

Regelungen zur Beantwortung dieser Frage finden sich in Anhang II Nr. 1 Gefahrstoffverordnung (GefStoffV). Dort heißt es, dass Arbeiten an asbesthaltigen Teilen von Gebäuden verboten sind. Ausnahmen von diesem Verbot bestehen nur für Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten (ASI-Arbeiten) an den asbesthaltigen Gebäudeteilen. Ein generelles Verbot besteht für Überbauungsarbeiten an Asbestzementdächern und Asbestzementfassaden. Anfallende asbesthaltige Materialien dürfen nicht weiterverwendet werden und sind der Abfallentsorgung zuzuführen. Diese relativ klaren Formulierungen in der Gefahrstoffverordnung fanden jedoch zwei völlig gegensätzliche Interpretationen durch die Arbeitsschutzbehörde und die Wohnungsunternehmen in Sachsen-Anhalt.

Morinol-Fasern-Asbest
Verwittert der Fugendichtstoff Morinol, können Asbestfasern freigesetzt werden. (Abb.: Owen Gräfe, 2013)

Nach der Rechtsauffassung der Arbeitsschutzbehörde waren (und sind) Überdeckungsarbeiten an der asbesthaltigen Gebäudefassade verboten. Die geplanten Arbeiten sind keine ASI-Arbeiten im Sinne der Gefahrstoffverordnung, sodass die Ausnahme vom Verbot hier nicht greift. Die weitere Verwendung der asbesthaltigen Fassade als Träger für die Wärmedämmung ist nicht zulässig.

Nach der Rechtsauffassung der Wohnungsunternehmen galt das generelle Überbauungsverbot gemäß Gefahrstoffverordnung nur für Asbestzementflächen, nicht jedoch für asbesthaltige Fugendichtstoffe. Nicht die Fassade ist der asbesthaltige Gebäudeteil, sondern nur die Fuge. Diese wird aber bei der Anbringung eines Wärmedämm-Verbundsystems nicht bearbeitet, sodass keine verbotenen Arbeiten an asbesthaltigen Gebäudeteilen ausgeführt werden. Die Verklebung der Wärmedämmung erfolgt nicht auf der Fuge, sodass keine Weiterverwendung vorliegt. Die energetische Sanierung ist eine erlaubte Sanierungsarbeit gemäß Gefahrstoffverordnung.

Nach langwierigen, intensiven Diskussionen konnte der überwiegende Teil der Wohnungsunternehmen in Sachsen-Anhalt von der behördlichen Rechtsauffassung überzeugt werden. Diese Auftraggeber ließen den asbesthaltigen Fugendichtstoff vor Anbringung eines Wärmedämm-Verbundsystems von Fachfirmen entfernen. Einige Wohnungsunternehmen schlossen sich dieser Rechtsauffassung jedoch nicht an und vergaben Aufträge zur Anbringung von Wärmedämm-Verbundsystemen auf Plattenbaufassaden mit Morinol-Fugen ohne vorherige Entfernung des Fugenmaterials, obwohl von der zuständigen Behörde schriftlich wiederholt eindringlich auf das Überbauungsverbot hingewiesen worden war.

So begann 2013 eine von einem Wohnungsunternehmen beauftragte Firma mit der Überdeckung der Morinol-Fugen an einem Plattenbau in Wernigerode. Daraufhin erließ das Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt als zuständige Arbeitsschutzbehörde am 9. April 2013 eine Untersagungsverfügung mit Anordnung der sofortigen Vollziehung.

(…)

Da für die betroffene beauftragte Firma ein entsprechendes Vorgehen der Arbeitsschutzbehörde auch bei anderen ähnlichen Bauvorhaben vorhersehbar war, reichte sie, unterstützt durch ihre Auftraggeberin, am 6. Mai 2013 Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg zur Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung ein, um die Überbauung des asbesthaltigen Fugendichtstoffs mit einem Wärmedämm-Verbundsystem vornehmen zu können und zukünftige Untersagungsverfügungen zu verhindern.

(…)

Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt 2016
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat am 11. April 2016 den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 24. März 2015 abgelehnt. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen (vgl. Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 3. Senat, Beschluss vom 11.4.2016 – 3 L 90/15 / 1 A 149/13 MD).

Folgen der gerichtlichen Entscheidungen
Aufgrund der gerichtlichen Entscheidungen bestehen in Sachsen-Anhalt nun keine Interpretationsmöglichkeiten der bestehenden Regelungen mehr, ob vor Wärmedämmmaßnahmen an Fassaden der vorhandene asbesthaltige Fugendichtstoff entfernt werden muss oder nicht. Über den endgültigen Stand wurden in Sachsen-Anhalt die Verbände der Wohnungsgenossenschaften und der Wohnungswirtschaft sowie die Präsidenten der Architektenkammer und der Ingenieurkammer mit Schreiben des Präsidenten des Landesamtes für Verbraucherschutz vom 24. Juni 2016 bzw. 6. Juli 2016 informiert. Darin wird auf Folgendes hingewiesen mit der Bitte, den betroffenen Mitgliedsunternehmen bzw. Mitgliedern zur Kenntnis zu geben, dass die genannten Punkte bei zukünftigen Planungen, Ausschreibungen und Auftragsvergaben zu berücksichtigen sind:

Die mit dem asbesthaltigen Fugendichtstoff Morinol gefüllte Fuge ist Bestandteil der
Außenwand, die aus diesem Grund einen asbesthaltigen Gebäudeteil bildet.

Autor: Dipl.-Phys. Owen Gräfe, Landesamt für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt

Den ungekürzten Beitrag und weitere Beiträge zum Gebäudeschadstoff Asbest lesen Sie in der ersten Ausgabe (November 2016) der Zeitschrift Gebäudeschadstoffe und Innenraumluft – Fachzeitschrift zum Schutz von Gesundheit und Umwelt bei baulichen Anlagen.

zuletzt editiert am 09. April 2021